Überlassungshöchstdauer bei Betriebsübergang: Vorlagefragen des BAG an den EuGH 9 AZR 164/23 (A)

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat im Verfahren 9 AZR 264/23 (A) dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) Fragen zur Auslegung der Richtlinie 2008/104/EG über Leiharbeit vorgelegt. Dabei geht es um die Berechnung der Überlassungshöchstdauer im Falle eines Betriebsübergangs auf Seiten des Entleihers.​

Sachverhalt

Das BAG legt dem EuGH Fragen über die Berechnung der Überlassungsdauer beim Betriebsübergang vor.

Der Kläger war vom 16. Juni 2017 bis zum 6. April 2022 als Leiharbeiter in der Logistikabteilung eines Betriebs tätig, der Sanitärarmaturen herstellt. Diese Logistikabteilung wurde zum 1. Juli 2018 auf ein anderes Unternehmen innerhalb derselben Unternehmensgruppe übertragen. Der Kläger setzte seine Tätigkeit dort nahtlos fort. Er machte geltend, dass durch die Überschreitung der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer gemäß § 1 Abs. 1b Satz 1 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher entstanden sei. Die Beklagte vertrat die Auffassung, dass die Überlassungshöchstdauer mit dem Betriebsübergang neu zu laufen beginne. ​

Während das Arbeitsgericht die Klage abwies, änderte das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts ab und stellte fest, dass zwischen den Parteien seit dem 16. Juni 2021 ein Arbeitsverhältnis besteht. Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Revision eingelegt.

Vorlagefragen an den EuGH

Das BAG legte folgende Fragen an den EUGH:

  1. Sind bei der Berechnung einer nach nationalem Recht festgelegten Überlassungshöchstdauer im Fall eines Betriebsübergangs der Veräußerer und der Erwerber stets als ein „entleihendes Unternehmen“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2008/104/EG anzusehen?​
  2. Falls nein: Gilt dies zumindest, wenn Veräußerer und Erwerber demselben Konzern angehören und der Leiharbeitnehmer ununterbrochen auf demselben Arbeitsplatz eingesetzt wird?​
  3. Falls auch dies verneint wird: Ist der Übergang eines entleihenden Betriebs bei der Kontrolle, ob die Überlassungsdauer noch als „vorübergehend“ betrachtet werden kann (Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2008/104/EG), zu berücksichtigen? Wenn ja, in welcher Weise?

Erläuterungen des BAG

Das BAG hält die Klärung dieser Fragen für erforderlich, um festzustellen, ob im Fall eines Betriebsübergangs die Überlassungszeiten beim Veräußerer und Erwerber zusammenzurechnen sind. Dies beeinflusst, ob und wann ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Leiharbeiter und dem Entleiher aufgrund Überschreitens der Überlassungshöchstdauer entsteht. 

Begriff des „entleihenden Unternehmens“

Das Bundesarbeitsgericht sieht im vorliegenden Verfahren grundlegende Fragen zur Auslegung der Leiharbeitsrichtlinie, insbesondere hinsichtlich der Auslegung des Begriffs „entleihendes Unternehmen“ und der Bedeutung eines Betriebsübergangs auf der Seite des Entleihers für die Berechnung der zulässigen Überlassungshöchstdauer.

Nach deutschem Recht (§ 1 Abs. 1b Satz 1 AÜG) darf ein Leiharbeiter nicht länger als 18 aufeinanderfolgende Monate demselben Entleiher überlassen werden. Wird diese Frist überschritten, entsteht kraft Gesetzes ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Leiharbeiter und dem Entleiher. Maßgeblich ist also, wer im rechtlichen Sinne als „derselbe Entleiher“ gilt.

Im konkreten Fall wurde der Kläger über einen Zeitraum von fast fünf Jahren hinweg auf demselben Arbeitsplatz eingesetzt – zunächst bei einem Entleiher, dann bei einem anderen, nachdem dessen Betriebsteil durch Betriebsübergang auf ein konzernverbundenes Unternehmen überging. Der Einsatzort und die Tätigkeit des Klägers blieben dabei unverändert.

Insbesondere ist zu klären, ob der Begriff „entleihendes Unternehmen“ im Sinne der Richtlinie 2008/104/EG formal auf die juristische Person abstellt oder ob eine wertende Betrachtung, etwa bei Konzernverbundenheit und ununterbrochenem Einsatz auf demselben Arbeitsplatz, geboten ist.

Begriff der „vorübergehenden“ Überlassung

Während das deutsche AÜG auf einen konkreten Entleiher abstellt, könnte das Unionsrecht eine „vorübergehende“ Überlassung – unabhängig von rein formalen Unternehmenswechseln verlangen. Die Richtlinie verfolgt das Ziel, Leiharbeit auf temporäre Einsätze zu beschränken und einer dauerhaften Integration in den Entleiherbetrieb entgegenzuwirken.

Vor diesem Hintergrund fragt das BAG, ob bei einem Betriebsübergang auf Seiten des Entleihers die bisherige Überlassungsdauer mitgerechnet werden muss – und ob dies jedenfalls dann gilt, wenn:

  • der Leiharbeiter durchgehend im selben Aufgabenbereich tätig ist,
  • der Einsatzbetrieb faktisch derselbe bleibt,
  • und Veräußerer wie Erwerber zum selben Konzern gehören.

Zudem möchte das BAG geklärt wissen, inwiefern ein solcher Betriebsübergang die Beurteilung beeinflusst, ob eine Überlassung noch „vorübergehend“ im Sinne von Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie ist – insbesondere, ob ein Einsatz über mehrere Jahre hinweg unter wechselnden Entleihern, aber bei gleichbleibendem Einsatzort, unionsrechtlich noch zulässig ist.

Das Ziel der Vorlage ist es, durch eine Entscheidung des EuGH eine unionsrechtskonforme Auslegung der Überlassungshöchstdauer zu gewährleisten. Sie soll sicherstellen, dass Schutzmechanismen für Leiharbeiter auch dann greifen, wenn Unternehmen durch interne Umstrukturierungen eine dauerhafte Beschäftigung erzielen.

Fazit

Mit seiner Vorlage an den Europäischen Gerichtshof greift das Bundesarbeitsgericht ein zentrales Spannungsfeld im Leiharbeitsrecht auf: den Gegensatz zwischen formaler Unternehmensstruktur und der tatsächlichen Einsatzrealität von Leiharbeitern. Die zentrale Frage lautet, ob und unter welchen Umständen ein Wechsel des Entleihers – etwa durch einen konzerninternen Betriebsübergang – die Überlassungshöchstdauer nach § 1 Abs. 1b AÜG neu starten lässt oder ob die Einsatzzeiten zusammenzurechnen sind.

Die Entscheidung des EuGH wird maßgeblich darüber mitentscheiden, wie sich ein Betriebsübergang auf die EU-Leiharbeitsrichtlinie in der Praxis auswirkt. Ebenso soll entschieden werden, in welchen Konstellationen strukturierte Unternehmenswechsel als problematisch anzusehen sind. Jetzt bleibt abzuwarten, was der EuGH entscheidet.

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