Illegale Arbeitnehmerüberlassung versus A1-Entsendebescheinigungen, BGH Urteil 5 StR 325/24

Das vorliegende Urteil des BGH betrifft die gewerbs- und bandenmäßige Einschleusung von Ausländern, Urkundenfälschung, Beschäftigung ohne Aufenthaltstitel und Vorenthaltung von Arbeitsentgelt. Es geht um ein ausgeklügeltes kriminelles System, bei dem Drittstaatsangehörige unter falschen Identitäten und mit gefälschten Dokumenten in Deutschland beschäftigt wurden. Das Urteil hat erhebliche Bedeutung, da es nicht nur die Strafbarkeit der verantwortlichen Akteure bestätigt, sondern auch wichtige Rechtsfragen zur Arbeitnehmerentsendung, zur Gültigkeit von Dokumenten wie „A1-Bescheinigungen“ und zur Verantwortung von Arbeitgebern im Sozialversicherungsrecht klärt.

Sachverhalt: Sind A1-Entsendebescheinigungen verbindlich, wenn sie auf falschen Dokumenten basieren?

Im Mittelpunkt des Falls steht der Angeklagte Za., der in Estland, Litauen und Lettland Firmen gründete, die Leiharbeitnehmer aus Drittstaaten (darunter Ukraine und Moldau) nach Deutschland vermittelten. Diese Arbeitnehmer arbeiteten mit gefälschten ID-Karten, die sie als EU-Bürger auswiesen. Die Angeklagten nutzten falsche „A1-Bescheinigungen“, um Sozialabgaben in Deutschland zu vermeiden, und boten den Beschäftigten ungünstige Arbeitsbedingungen, einschließlich unrechtmäßiger Lohnabzüge. Za. war der Kopf des kriminellen Systems und faktischer Geschäftsführer, während die weiteren Angeklagten (darunter A. Z., K. Z. und S.) operative Aufgaben wie die Organisation von Logistiklagern und Kundenkontakten übernahmen. Sc., ein Steuerberater, unterstützte bei der Beantragung von Genehmigungen für die Arbeitnehmerüberlassung. Insgesamt beschäftigten die Firmen über 1.000 Arbeitnehmer und erzielten Umsätze von knapp 29 Millionen Euro, während Sozialversicherungsbeiträge nur in geringem Umfang in den baltischen Staaten abgeführt wurden.

Entscheidung des BGH

Der BGH bestätigte die Schuldsprüche, die unter anderem auf § 97 Abs. 2 i.V.m. § 96 Abs. 1 AufenthG (gewerbs- und bandenmäßiges Einschleusen von Ausländern), § 266a StGB (Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt), § 10 SchwarzArbG (Beschäftigung von Ausländern zu ungünstigen Bedingungen) und § 267 StGB (gewerbs- und bandenmäßige Urkundenfälschung) basierten. Die gefälschten „A1-Bescheinigungen“ wurden als rechtlich unwirksam angesehen, da sie auf falschen Personalien beruhten und nicht unter die europäische Sozialrechtsverordnung fielen. Zudem stellte das Gericht fest, dass die Arbeitsbedingungen der Leiharbeiter im Vergleich zu deutschen Arbeitnehmern auffällig schlechter waren, etwa durch fehlenden Krankenversicherungsschutz, Lohnabzüge und mündliche Arbeitsverträge.

A1-Bescheinigungen im Fokus des Urteils

Der BGH hat in seinem Urteil ausführlich klargestellt, dass die gefälschten A1-Bescheinigungen keine rechtliche Bindungswirkung entfalten konnten. A1-Bescheinigungen dienen grundsätzlich als Nachweis, dass ein Arbeitnehmer, der vorübergehend in einem anderen EU-Mitgliedstaat tätig ist, weiterhin den Sozialversicherungsvorschriften seines Heimatstaates unterliegt. Allerdings betonte der BGH, dass diese Bindungswirkung nur bei einer rechtmäßigen Ausstellung und korrekten Angaben zur Identität der betreffenden Personen gilt. Im vorliegenden Fall basierten die Bescheinigungen auf gefälschten ID-Karten, die falsche Staatsangehörigkeiten und Personalien auswiesen. Damit waren die Bescheinigungen rechtlich unwirksam.

Der BGH stellte zudem fest, dass der persönliche Anwendungsbereich der relevanten europäischen Verordnungen (insbesondere Verordnung [EG] Nr. 883/2004 und Verordnung [EU] Nr. 1231/2010) auf Drittstaatsangehörige nur unter der Bedingung eines rechtmäßigen Aufenthalts und einer legalen Arbeit in einem EU-Mitgliedstaat erweitert wird. Da die im Verfahren betroffenen Leiharbeiter diese Voraussetzungen nicht erfüllten, konnten sie von den entsprechenden Regelungen nicht profitieren.

Die Richter machten deutlich, dass auch betrügerisch erlangte A1-Bescheinigungen nicht dazu dienen dürfen, rechtswidrig Vorteile zu erzielen, wie etwa die Umgehung der Sozialversicherungspflichten in Deutschland. Besonders hervorgehoben wurde, dass gefälschte Dokumente, die auf falschen Personalien basieren, schon allein deshalb keine Bindungswirkung haben, weil die darin genannten Personen faktisch nicht existieren. Diese Feststellungen schließen rechtliche Schlupflöcher und verhindern, dass kriminelle Strukturen europäisches Sozialrecht missbrauchen können.

Bedeutung des Urteils

Das Urteil hat eine wichtige Signalwirkung für die Durchsetzung von Sozialversicherungs- und Arbeitsrecht. Es stellt klar, dass gefälschte A1-Bescheinigungen keine Bindungswirkung entfalten, wenn sie auf falschen Angaben beruhen, und dass Arbeitgeber nicht auf fiktive Entsendungen verweisen können, wenn die Beschäftigten gezielt für den deutschen Markt angeworben wurden. Zudem betont das Urteil die strafrechtliche Haftung von Geschäftsführern, auch faktischen, für die Einhaltung der Sozialversicherungspflichten.

Fazit

In der Praxis unterstreicht das Urteil, dass Arbeitgeber alle arbeits- und sozialrechtlichen Vorschriften strikt einhalten müssen. Unternehmen sollten sicherstellen, dass alle Arbeitnehmer rechtmäßig tätig sind, die Echtheit von Dokumenten gründlich prüfen und keine auffälligen Unterschiede zwischen den Arbeitsbedingungen ausländischer und deutscher Arbeitnehmer zulassen. Interne Prozesse zur Überprüfung von Arbeitnehmerüberlassungen und Sozialabgaben sollten entsprechend verschärft werden, um strafrechtliche Konsequenzen zu vermeiden.

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